MEXartes-berlin.de / Ausstellungen / Rubén Ortiz Torres
http://www.mexartes-berlin.de/deu/expo/ortiz/ortiz-text.html << zurück


Die wahrhaftige Geschichte der Eroberung des Neuen Amerika
Rubén Ortiz Torres


Prolog

Ich, Rubén Ortiz Torres, Professor an der Universität der Kalifornischen Lande, Verfasser dieser wirklichen und wahrhaftigen Geschichte, die ich nun preisgebe, und die bei den Entdeckungsreisen und der Eroberung des Neuen Amerika beginnt, und berichtet, wie die große Stadt Mexiko fotografiert worden, und ebenso viele andere Städte, und bis zu jener Zeit reicht, als sie um ihren Frieden gebracht und wie viele Ortschaften mit Mexikanern bevölkert worden, schicke mich nun an, diese unseren Königen und Herren zu überbringen und auszuhändigen, so wie es unsere Pflicht gebietet. Da selbige höchst bemerkenswerte und denkwürdige Dinge enthält, versichere und bestätige ich, dass alles, was in diesem Buch enthalten, der ganzen Wahrheit entspricht, und dass, wie ich bezeuge, ich selbst mich auf allen Fotografien finde, und dass es sich dabei weder um alte Märchen, noch um tausendzweihundert Jahre alte Römergeschichten handelt. Da, wie man zu sagen pflegt, erst gestern geschehen, was in meiner Geschichte zu erfahren, dies getreu dem, wie und wann und auf welche Weise es sich zugetragen hat. Mehr noch wird mein Bericht das Geschehene mit Glaubwürdigkeit und Klarheit erfüllen. Wie soeben erst aus meinen Erinnerungen und Aufzeichnungen ins reine gebracht, in diesem höchst treuen Land der Königin der Engel am Fluß der Porciúncula, dem Sitz des königlichen Gerichts, am zehnten Tag im Mai des Jahres Zweitausendundeins. Mich dünkt, manch fehlendes und nicht vollendet Ding noch schreiben zu müssen: so sei an vielen Stellen verzeichnet, was ausgelassen. Die Herren Drucker bitte ich gnädigst, diesem überbrachten Schreiben weder einen Buchstaben hinzuzufügen, noch zu nehmen, etc...


Erstes Kapitel

Wann ich Califastlán verlassen, was mir widerfuhr und über die Entdeckung Mexikos

Im Jahre 2000 verließ ich Califastlán in Begleitung eines gut beleumundeten und in Blitzlicht und Mittelformatkameras erfahrenen Edelmannes, der sich damals Hauptmann (Cpt.?) P@ Miller nannte. Wir kamen darin überein, bei den Beamten der Einwanderungsbehörde die Genehmigung zu erwirken, in die 1847 verlorenen Territorien einzureisen. Unter Mißachtung jeglicher Ordnung und Gutwilligkeit sowie nach langwierigem Warten und nie gekannter Mühsal, Goldzahlungen eingeschlossen, wurde uns diese schließlich gewährt. Kaum hielten wir die Genehmigung in Händen, gingen wir an Bord eines guten Schiffes und so gelangten wir ins Tal der Anahuac. Begleitet von gutem Wetter, zuweilen auch von widrigem und durch die Lüfte reisend, war weder ein Adler über den Wipfeln, noch eine Lagune auszumachen, doch sahen wir Land, das unser Herz erfreute und für das wir in höchstem Maße dankbar waren. Von jener unentdeckten Gegend hatte es bis dahin keine Nachricht gegeben, und von unserem Schiff aus sahen wir eine unermesslich große Stadt, in welcher wir landeten. Wir waren es sehr zufrieden, jenes Land gefunden zu haben, denn zu jener Zeit war Peru noch nicht entdeckt.


Kapitel LXXXVIII

Von unserem großartigen Einzug in die große Stadt Mexiko

Und am folgenden Tag gegen Morgen kamen wir auf dem Weg zur Alameda auf eine vor lauter Verkehr aus allen Nähten platzenden breiten Straße. Wir hatten schon viele Städte und Orte gesehen, wo dereinst Wasser und nun Asphalt war, ebenso auf dem Festland viele andere große Ortschaften. Doch nun angesichts jener schnurgeraden U-Bahn, die ins Zentrum von Mexiko führt, blieben wir verwundert stehen und versicherten einander, dass diese hohen Türme und Gebäude aus Beton, Stahl und Glas wohl jenen wundersamen Dingen glichen, von denen das Buch Amadís berichtet. Wir wähnten uns gar in einer Traumwelt. Und es soll nicht wundern, wenn ich es hier so niederschreibe, denn es liegt so viel Bedenkenswertes in dem, was wir sahen, dass ich nicht zu beschreiben vermag, was niemals zuvor zu hören, zu sehen oder gar zu träumen möglich gewesen wäre. Bereits bei unserer Ankunft in Cuyoacán ward uns die Großzügigkeit fremder Häuptlinge und Prinzessinnen, gar nahe Verwandte Montezumas, zuteil, die gekommen waren, uns in Empfang zu nehmen. Doch wie war uns erst, als wir jene Plaza de la Alameda betraten, mit all ihren Palästen, die dem einen glichen, in dem wir untergebracht waren, so groß und farbenfroh ausgestattet mit herrlichen, bunten Neonlichtern, die allein zu sehen sich lohnt, und mit aus Baumwollbahnen und buntem Kunststoff gefertigten Sonnendächern. Wer könnte die Masse von Menschen, Frauen und Männern, ermessen, die sich auf zahllosen Wegen und Terrassen tummelten oder in Fahrzeugen über die in Straßen verwandelten Kanäle fuhren, die zu sehen wir gekommen waren? Es ist schon merkwürdig, wie mir jetzt, beim niederschreiben, alles vor Augen tritt, als wäre es gestern geschehen. Unschätzbar auch die große Gnade, die Der Herr uns zuteil werden ließ, indem er uns die Gunst und die Kraft verlieh, mutig in jene Stadt zu treten, und der mich vor den unzähligen Todesgefahren schützte, wie ihr weiter vorne noch erfahren werdet. Zu Dank bin ich Ihm verpflichtet, der mich bei Zeiten dazu brachte, dies niederzuschreiben, wenn auch nicht in der Vollendung, die angemessen und gebührlich erschiene. Doch genug der Worte, denn Taten bezeugen am Besten, was ich zu sagen habe. Gleich am nächsten Morgen brachen wir in Begleitung jener bereits erwähnten großzügigen Häuptlinge und Prinzessinnen von Cuyoacán auf. Wir fuhren unsere Straße entlang, welche zwanzig Schritt breit mißt und geradezu ins Zentrum der Stadt Mexiko führt, so dass es mir vorkam, als würde sie sich an keiner Stelle biegen. Obgleich sie also sehr breit war, waren doch so viele Menschen und Autos darauf, dass sie keinen Platz fanden. Und die einen fuhren nach Mexiko hinein und die anderen kamen heraus, als würden sie kommen, uns zu sehen, und wir waren umringt von lauter Autos, denn all die Türme und die Fahrzeuge waren voll, und sie kamen von allen Seiten der Stadt. Das war ja auch nicht weiter verwunderlich, denn nie zuvor hatten sie Menschen wie uns mit einer derartigen Ausrüstung gesehen. Angesichts all der wunderlichen Dinge verschlug es uns die Sprache. Oder sollte das alles wahr sein, was sich vor unseren Augen auftat? Auf der einen Seite, im Park, fanden sich großartige Paläste und Schreine, und er schien uns wie rosa Zuckerwatte und die Menschen dort waren angemalt, wie wir es nie gesehen hatten. Uns kamen die Unterhaltungen und Mahnungen in den Sinn, die uns in Guacoxingo, Tlascala und East L.A. gegeben worden, ebenso wie die zahlreichen Ratschläge. Hüten sollten wir uns, Mexiko zu betreten, denn man würde uns umbringen und die Kameras rauben, sobald wir dort wären. Gebt acht, ihr neugierigen Leser, was ich schreibe. Man sollte gut darüber nachdenken. Wie viele Männer hat es in unserem Universum gegeben, die solchen Mut aufbrachten? Dieser unser abenteuerliche und mutige Einzug in die große Stadt Tenustitlan in Mexiko ereignete sich am 30sten Tag im Dezember im Jahre des Herrn Jesus Christus 2001. Falls etwas unterschlagen, das zu sagen sich geziemte, verzeiht mir, da ich es zur Stunde nicht besser zu beschreiben vermag. Lassen wir weiteres Geplänkel und wenden wir uns wieder unserem Bericht darüber zu, was uns weiter widerfuhr und wovon nachfolgend die Rede sein wird.


Kapitel LXXXIX

Darüber wie die Alameda war und wie die Könige von Mexiko, ihre Götter und ihr Hofstaat sowie der Autor dieser Schrift abgebildet wurden

Wir erreichten den großen Park der Alameda und da wir so etwas nie zuvor gesehen hatten, verweilten wir ein wenig, verwundert darüber, wie viele Menschen und Waren es dort zu sehen gab, und in welch Übereinstimmung und Ordnung sich alles befand. Jede Ware war ihrer Gattung entsprechend geordnet, ihr Platz und ihre Wägen waren genauestens vorbestimmt und gekennzeichnet. Wir begannen bei den Verkäufern von rosa Zuckerwatte. Gleich daneben fanden sich einige äußerst würdige Maler, die Gesichter von Kindern und Leuten mit Motiven bemalten, die wie Tätowierungen aussahen und den Teufeln von Kiss ähnelten. Diese Maler üben ihr Handwerk so hervorragend aus, dass sie zu Zeiten jenes antiken und berühmten Apelles oder jener Michelangelo und Berruguete an deren Seite gestellt worden wären. Es gab auch solche, die tropische Cocktails in verschiedenen Farben, mit Früchten und betäubenden Destillaten aus Agave und Zuckerrohr verkauften. Einige davon wurden in Tongefäßen mit Zitronensaft und scharfen Gewürzen gereicht, die man "cantaritos locos" nannte. Aber gehen wir weiter zu denen, die Plastikspielzeug feilboten oder als Preise an diejenigen vergaben, die am meisten Punkte erzielten, wenn sie einen mechanischen Gorilla betätigten, der sie beim verrichten seiner Notdürftigkeit bespritzte. Und weiter zu einem Schrein mit mechanischen Musikfiguren, wie den herrlichen Bronco, Tigres del Norte oder den Tri. Noch weiter vorne verkauften sie hot cakes genannte, warme mit Honig benetzte Fladen und hot dogs, bei denen es sich um Brote mit phallischen Würsten darin handelt. Ebenso wurden gebratene Bananen, Churros und andere Köstlichkeiten sowie die unterschiedlichste Kosmetik und Blumenkränze feilgeboten. Das Kostbarste jedoch, womit gehandelt wurde, und um das sich die Menge drängte und scharrte, waren die Fotografien, die man mit eben jenen Königen von Mexiko machte, diesen vortrefflichen Herrschaften, derer nicht nur einer sondern drei, die so mächtig und wundervoll waren, dass sie Magier genannt und die Herrschaft über all jene Länder inne hatten. Viele Kinder und Familien mit wie zum Krieg bemalten Gesichtern und angetan mit den besten Gewändern und Schmuck bildeten lange Schlangen, um sich für 40 Pesos abbilden zu lassen und ein Polaroid zu erhalten, das sie zumindest für den Moment Teil dieses Adels werden ließ. Geradezu so wie es Velázques auf der Leinwand zu tun vermochte. Nachdem wir alles genauestens betrachtet und bewundert hatten, wandten wir uns wieder der Alameda und den vielen kaufenden und handelnden Menschen darin zu, wobei das allgegenwärtige Stimmengewirr und Summen der Worte über eine Meile weit tönte. Unter uns fanden sich Künstler, die viele Teile der Welt bereist hatten, Konstantinopel, New York, ganz Italien und Rom, und die sagten, dass sie solch leidenschaftlichen, vortrefflichen und großen Platz mit derart vielen Leuten nirgends anders gesehen hätten. In der Abenddämmerung begaben sich besagte drei magische Könige in die farbigen, aus den Fotografien bekannten Paläste: Melchior, blond, rein und bärtig, Kaspar, von nicht allzu dunkler Farbe, ähnlich der eines Indio mit langen Haaren und schwarzem, dichtem und wohlgeordnetem Bart und Baltazar, der bartlose Mohr. Alle waren sie reich geschmückt, wie es der Sitte entsprach, mit wunderbar schönen Kronen aus reichhaltig gearbeitetem Gold, glänzendem Silber, Perlen und Edelsteinen. Und sie strahlten in ihren seidenen, mit Glitzersteinen besetzten Gewändern. Auf einem Pferd, einem Kamel und einem Elefanten reitend wiegten und schaukelten sie sich zum Rhythmus tropischer Fandangoklänge und zügellos kindlicher Weihnachtslieder. In ihren Schlössern hatten sie Schreine mit dämonisch dreinblickenden Götzen und anderen furchteinflößenden Figuren, die, wenn sie hervortraten, der Sodomie frönten. Daneben gab es weitere diabolische Abgötter, die den herrlichen Teletubbies, Picachú, Micky und Minnie Maus, Donald Duck, `gar den drei kleinen Entlein ähnelten, die allesamt böser waren als der Kriegsgott Huichilobos oder gar Tezcatepuca. Außerdem waren die verschiedensten Tierarten vertreten: Tiger, Löwen und Katzen, so auch Sylvester der Kater, Bären, darunter der schwarz-weiße Panda, Hunde, die in diesem Land Tribilines und Pluto genannt werden, Kaninchen und selbst die singende Grille Cri Cri. Und manchmal fanden sich in den Schreinen sogar das Jesus Kind mit der Jungfrau von Guadalupe. Nun möchten wir darauf hinweisen, dass es sich bei diesen vergötterten Wesen keineswegs um solche handelt, denn in Wirklichkeit sind es böse Teufel, und diejenigen, die ihre Bilder besitzen, sind die ruchlosesten von allen. Hüten sollten sie sich, so böse und niederträchtig wie sie waren, denn wo auch immer, die von den Hl. Botschaftern mitgeführten Kreuze auftauchten, schreckten sie aus Furcht davor zurück. Die Zeit würde sie ein Übriges lehren. Denn uns dauern die verlorenen Seelen, derer viele von jenen Götzen in die Hölle geführt werden, wo sie bei lebendigem Leibe verbrennen. Hütet Euch davor, sie zu verehren und ihnen weitere Seelen von Jungen und Mädchen der Indios zu opfern! Da wandte sich Melchior uns zu und sprach: "Herr, wohl habe ich Deine Rede und Deine Gedanken verstanden und was meine Diener über Deinen Gott sagten, und ich weiß, dass alle Dinge, die Du äußertest, wohin auch immer Du Dich begabst und predigtest, auf unsere tauben Ohren stieß. Denn seit Anbeginn beten wir unsere Götter an, die wir für gut halten, so wie Du Deine, und Du solltest es dabei bewenden lassen, denn es wird Dir nicht mehr gelingen, dies zu ändern, indem Du uns wieder und wieder von ihnen berichtest. Und an diese Art der Schöpfung der Welt haben wir lange Zeit geglaubt. Und deshalb sind wir sicher, dass es diese Götter sind, die Du hier siehst, und von denen unsere Vorfahren sprachen, sie würden dort Handel treiben, wo man Filme machte." Nachdem dies gesprochen, begannen besagte Götter Winnie Pooh, der Tiger und der Hase Bugs mit uns zu tanzen. Dabei brüllten sie und spielten ihr Saxofon und ihre elektrischen Gitarren - Hölleninstrumente, wie man zu sagen pflegt - so laut, dass es einen schauderte und zwei Meilen weit zu hören war. Kaum hatte ich jenes Wunder erlebt, vollzog sich in mir ein völliger Sinneswandel und von dämonischer Lüsternheit gepackt wollte ich mich ebenfalls fotografieren. Wir mußten 150 Pesos bezahlen, eh' wir unsere größte Kamera nutzen durften sowie einen Spiegel, auf dem sich die Künstler, die Könige und die Vasallen spiegelten, denn da sie sich heillos tummelten, könnt ihr darauf ihren mannigfaltigen Widerschein bewundern. Mit den Fotografen der Könige handelten wir einen Preis aus, und indem wir ihnen erklärten, dass wir von fernen Landen gekommen waren und ihre Arbeiten bewunderten, überließen sie uns auch das entsprechende Polaroid. Welch ein Glück überkam uns, als wir die schöne Prinzessin von Cuyuoacan trafen, die mit den Monarchen einer Tlacuila, so die einheimische Bezeichnung für eine Malerin, posierte, die nicht etwa auf Leinwand, sondern direkt auf das Gesicht der Hoheit malte, und mir zudem erlaubt wurde, sie nicht nur höchstselbst zu bemalen, sondern auch noch zu fotografieren, die 3 Könige und mich eingeschlossen. Dabei trug die süße Infantin wunderbar herrlich weiße Kleider und eine blinkende Krone. So verschossen wir einen Film nach dem andern, Hauptmann Miller, die vornehme Doña Tania, Tochter hoher Herrschaften, die sich auf die Sprache des Neuen Amerika und Mexikos verstand, und meine Wenigkeit. Auch die Könige und Fotografen ließen sich ablichten, und es gelang uns, sie just in jenem entscheidenden Moment zu fotografieren, als sie ihrerseits ein Foto von uns machten und ihr Blitz wie eine Feuersalve aufleuchtete, dass es auf dem Bild gar wie eine Sonnenfinsternis anmutet. Denn auch sie fotografierten uns munter. Und wie ich Euch sagte, wurden auch unsere Seelen auf eben jene Weise wie die der Könige, ihrer Vasallen, ihres Hofstaats, ihrer Fotografen, ihrer Götzen und Götter im Spiegel gebannt. So kam es, dass diese der Aufopferung würdige Kunst, die den Betrachter und Leser in einen Künstler, Hl. König und Vasall, in einen Mohr, Weißen oder Indio verwandelt, uns im Sturm eroberte. Eben diese herrliche und rühmliche Offenbarung gilt es zu bestaunen, nicht etwa das falsche Gold dieser Neuen Welt und ihrer wundersamen Stadt.

 


<< zurück © Copyright: Autor