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Die wahrhaftige Geschichte der Eroberung des Neuen Amerika
Rubén Ortiz Torres
Prolog
Ich, Rubén Ortiz Torres, Professor an der Universität
der Kalifornischen Lande, Verfasser dieser wirklichen und wahrhaftigen
Geschichte, die ich nun preisgebe, und die bei den Entdeckungsreisen
und der Eroberung des Neuen Amerika beginnt, und berichtet, wie
die große Stadt Mexiko fotografiert worden, und ebenso viele
andere Städte, und bis zu jener Zeit reicht, als sie um ihren
Frieden gebracht und wie viele Ortschaften mit Mexikanern bevölkert
worden, schicke mich nun an, diese unseren Königen und Herren
zu überbringen und auszuhändigen, so wie es unsere Pflicht
gebietet. Da selbige höchst bemerkenswerte und denkwürdige
Dinge enthält, versichere und bestätige ich, dass alles,
was in diesem Buch enthalten, der ganzen Wahrheit entspricht,
und dass, wie ich bezeuge, ich selbst mich auf allen Fotografien
finde, und dass es sich dabei weder um alte Märchen, noch
um tausendzweihundert Jahre alte Römergeschichten handelt.
Da, wie man zu sagen pflegt, erst gestern geschehen, was in meiner
Geschichte zu erfahren, dies getreu dem, wie und wann und auf
welche Weise es sich zugetragen hat. Mehr noch wird mein Bericht
das Geschehene mit Glaubwürdigkeit und Klarheit erfüllen.
Wie soeben erst aus meinen Erinnerungen und Aufzeichnungen ins
reine gebracht, in diesem höchst treuen Land der Königin
der Engel am Fluß der Porciúncula, dem Sitz des königlichen
Gerichts, am zehnten Tag im Mai des Jahres Zweitausendundeins.
Mich dünkt, manch fehlendes und nicht vollendet Ding noch
schreiben zu müssen: so sei an vielen Stellen verzeichnet,
was ausgelassen. Die Herren Drucker bitte ich gnädigst, diesem
überbrachten Schreiben weder einen Buchstaben hinzuzufügen,
noch zu nehmen, etc...
Erstes Kapitel
Wann ich Califastlán verlassen, was mir widerfuhr und
über die Entdeckung Mexikos
Im Jahre 2000 verließ ich Califastlán in Begleitung
eines gut beleumundeten und in Blitzlicht und Mittelformatkameras
erfahrenen Edelmannes, der sich damals Hauptmann (Cpt.?) P@ Miller
nannte. Wir kamen darin überein, bei den Beamten der Einwanderungsbehörde
die Genehmigung zu erwirken, in die 1847 verlorenen Territorien
einzureisen. Unter Mißachtung jeglicher Ordnung und Gutwilligkeit
sowie nach langwierigem Warten und nie gekannter Mühsal,
Goldzahlungen eingeschlossen, wurde uns diese schließlich
gewährt. Kaum hielten wir die Genehmigung in Händen,
gingen wir an Bord eines guten Schiffes und so gelangten wir ins
Tal der Anahuac. Begleitet von gutem Wetter, zuweilen auch von
widrigem und durch die Lüfte reisend, war weder ein Adler
über den Wipfeln, noch eine Lagune auszumachen, doch sahen
wir Land, das unser Herz erfreute und für das wir in höchstem
Maße dankbar waren. Von jener unentdeckten Gegend hatte
es bis dahin keine Nachricht gegeben, und von unserem Schiff aus
sahen wir eine unermesslich große Stadt, in welcher wir
landeten. Wir waren es sehr zufrieden, jenes Land gefunden zu
haben, denn zu jener Zeit war Peru noch nicht entdeckt.
Kapitel LXXXVIII
Von unserem großartigen Einzug in die große Stadt
Mexiko
Und am folgenden Tag gegen Morgen kamen wir auf dem Weg zur Alameda
auf eine vor lauter Verkehr aus allen Nähten platzenden breiten
Straße. Wir hatten schon viele Städte und Orte gesehen,
wo dereinst Wasser und nun Asphalt war, ebenso auf dem Festland
viele andere große Ortschaften. Doch nun angesichts jener
schnurgeraden U-Bahn, die ins Zentrum von Mexiko führt, blieben
wir verwundert stehen und versicherten einander, dass diese hohen
Türme und Gebäude aus Beton, Stahl und Glas wohl jenen
wundersamen Dingen glichen, von denen das Buch Amadís berichtet.
Wir wähnten uns gar in einer Traumwelt. Und es soll nicht
wundern, wenn ich es hier so niederschreibe, denn es liegt so
viel Bedenkenswertes in dem, was wir sahen, dass ich nicht zu
beschreiben vermag, was niemals zuvor zu hören, zu sehen
oder gar zu träumen möglich gewesen wäre. Bereits
bei unserer Ankunft in Cuyoacán ward uns die Großzügigkeit
fremder Häuptlinge und Prinzessinnen, gar nahe Verwandte
Montezumas, zuteil, die gekommen waren, uns in Empfang zu nehmen.
Doch wie war uns erst, als wir jene Plaza de la Alameda betraten,
mit all ihren Palästen, die dem einen glichen, in dem wir
untergebracht waren, so groß und farbenfroh ausgestattet
mit herrlichen, bunten Neonlichtern, die allein zu sehen sich
lohnt, und mit aus Baumwollbahnen und buntem Kunststoff gefertigten
Sonnendächern. Wer könnte die Masse von Menschen, Frauen
und Männern, ermessen, die sich auf zahllosen Wegen und Terrassen
tummelten oder in Fahrzeugen über die in Straßen verwandelten
Kanäle fuhren, die zu sehen wir gekommen waren? Es ist schon
merkwürdig, wie mir jetzt, beim niederschreiben, alles vor
Augen tritt, als wäre es gestern geschehen. Unschätzbar
auch die große Gnade, die Der Herr uns zuteil werden ließ,
indem er uns die Gunst und die Kraft verlieh, mutig in jene Stadt
zu treten, und der mich vor den unzähligen Todesgefahren
schützte, wie ihr weiter vorne noch erfahren werdet. Zu Dank
bin ich Ihm verpflichtet, der mich bei Zeiten dazu brachte, dies
niederzuschreiben, wenn auch nicht in der Vollendung, die angemessen
und gebührlich erschiene. Doch genug der Worte, denn Taten
bezeugen am Besten, was ich zu sagen habe. Gleich am nächsten
Morgen brachen wir in Begleitung jener bereits erwähnten
großzügigen Häuptlinge und Prinzessinnen von Cuyoacán
auf. Wir fuhren unsere Straße entlang, welche zwanzig Schritt
breit mißt und geradezu ins Zentrum der Stadt Mexiko führt,
so dass es mir vorkam, als würde sie sich an keiner Stelle
biegen. Obgleich sie also sehr breit war, waren doch so viele
Menschen und Autos darauf, dass sie keinen Platz fanden. Und die
einen fuhren nach Mexiko hinein und die anderen kamen heraus,
als würden sie kommen, uns zu sehen, und wir waren umringt
von lauter Autos, denn all die Türme und die Fahrzeuge waren
voll, und sie kamen von allen Seiten der Stadt. Das war ja auch
nicht weiter verwunderlich, denn nie zuvor hatten sie Menschen
wie uns mit einer derartigen Ausrüstung gesehen. Angesichts
all der wunderlichen Dinge verschlug es uns die Sprache. Oder
sollte das alles wahr sein, was sich vor unseren Augen auftat?
Auf der einen Seite, im Park, fanden sich großartige Paläste
und Schreine, und er schien uns wie rosa Zuckerwatte und die Menschen
dort waren angemalt, wie wir es nie gesehen hatten. Uns kamen
die Unterhaltungen und Mahnungen in den Sinn, die uns in Guacoxingo,
Tlascala und East L.A. gegeben worden, ebenso wie die zahlreichen
Ratschläge. Hüten sollten wir uns, Mexiko zu betreten,
denn man würde uns umbringen und die Kameras rauben, sobald
wir dort wären. Gebt acht, ihr neugierigen Leser, was ich
schreibe. Man sollte gut darüber nachdenken. Wie viele Männer
hat es in unserem Universum gegeben, die solchen Mut aufbrachten?
Dieser unser abenteuerliche und mutige Einzug in die große
Stadt Tenustitlan in Mexiko ereignete sich am 30sten Tag im Dezember
im Jahre des Herrn Jesus Christus 2001. Falls etwas unterschlagen,
das zu sagen sich geziemte, verzeiht mir, da ich es zur Stunde
nicht besser zu beschreiben vermag. Lassen wir weiteres Geplänkel
und wenden wir uns wieder unserem Bericht darüber zu, was
uns weiter widerfuhr und wovon nachfolgend die Rede sein wird.
Kapitel LXXXIX
Darüber wie die Alameda war und wie die Könige von
Mexiko, ihre Götter und ihr Hofstaat sowie der Autor dieser
Schrift abgebildet wurden
Wir erreichten den großen Park der Alameda und da wir so
etwas nie zuvor gesehen hatten, verweilten wir ein wenig, verwundert
darüber, wie viele Menschen und Waren es dort zu sehen gab,
und in welch Übereinstimmung und Ordnung sich alles befand.
Jede Ware war ihrer Gattung entsprechend geordnet, ihr Platz und
ihre Wägen waren genauestens vorbestimmt und gekennzeichnet.
Wir begannen bei den Verkäufern von rosa Zuckerwatte. Gleich
daneben fanden sich einige äußerst würdige Maler,
die Gesichter von Kindern und Leuten mit Motiven bemalten, die
wie Tätowierungen aussahen und den Teufeln von Kiss ähnelten.
Diese Maler üben ihr Handwerk so hervorragend aus, dass sie
zu Zeiten jenes antiken und berühmten Apelles oder jener
Michelangelo und Berruguete an deren Seite gestellt worden wären.
Es gab auch solche, die tropische Cocktails in verschiedenen Farben,
mit Früchten und betäubenden Destillaten aus Agave und
Zuckerrohr verkauften. Einige davon wurden in Tongefäßen
mit Zitronensaft und scharfen Gewürzen gereicht, die man
"cantaritos locos" nannte. Aber gehen wir weiter zu
denen, die Plastikspielzeug feilboten oder als Preise an diejenigen
vergaben, die am meisten Punkte erzielten, wenn sie einen mechanischen
Gorilla betätigten, der sie beim verrichten seiner Notdürftigkeit
bespritzte. Und weiter zu einem Schrein mit mechanischen Musikfiguren,
wie den herrlichen Bronco, Tigres del Norte oder den Tri. Noch
weiter vorne verkauften sie hot cakes genannte, warme mit Honig
benetzte Fladen und hot dogs, bei denen es sich um Brote mit phallischen
Würsten darin handelt. Ebenso wurden gebratene Bananen, Churros
und andere Köstlichkeiten sowie die unterschiedlichste Kosmetik
und Blumenkränze feilgeboten. Das Kostbarste jedoch, womit
gehandelt wurde, und um das sich die Menge drängte und scharrte,
waren die Fotografien, die man mit eben jenen Königen von
Mexiko machte, diesen vortrefflichen Herrschaften, derer nicht
nur einer sondern drei, die so mächtig und wundervoll waren,
dass sie Magier genannt und die Herrschaft über all jene
Länder inne hatten. Viele Kinder und Familien mit wie zum
Krieg bemalten Gesichtern und angetan mit den besten Gewändern
und Schmuck bildeten lange Schlangen, um sich für 40 Pesos
abbilden zu lassen und ein Polaroid zu erhalten, das sie zumindest
für den Moment Teil dieses Adels werden ließ. Geradezu
so wie es Velázques auf der Leinwand zu tun vermochte.
Nachdem wir alles genauestens betrachtet und bewundert hatten,
wandten wir uns wieder der Alameda und den vielen kaufenden und
handelnden Menschen darin zu, wobei das allgegenwärtige Stimmengewirr
und Summen der Worte über eine Meile weit tönte. Unter
uns fanden sich Künstler, die viele Teile der Welt bereist
hatten, Konstantinopel, New York, ganz Italien und Rom, und die
sagten, dass sie solch leidenschaftlichen, vortrefflichen und
großen Platz mit derart vielen Leuten nirgends anders gesehen
hätten. In der Abenddämmerung begaben sich besagte drei
magische Könige in die farbigen, aus den Fotografien bekannten
Paläste: Melchior, blond, rein und bärtig, Kaspar, von
nicht allzu dunkler Farbe, ähnlich der eines Indio mit langen
Haaren und schwarzem, dichtem und wohlgeordnetem Bart und Baltazar,
der bartlose Mohr. Alle waren sie reich geschmückt, wie es
der Sitte entsprach, mit wunderbar schönen Kronen aus reichhaltig
gearbeitetem Gold, glänzendem Silber, Perlen und Edelsteinen.
Und sie strahlten in ihren seidenen, mit Glitzersteinen besetzten
Gewändern. Auf einem Pferd, einem Kamel und einem Elefanten
reitend wiegten und schaukelten sie sich zum Rhythmus tropischer
Fandangoklänge und zügellos kindlicher Weihnachtslieder.
In ihren Schlössern hatten sie Schreine mit dämonisch
dreinblickenden Götzen und anderen furchteinflößenden
Figuren, die, wenn sie hervortraten, der Sodomie frönten.
Daneben gab es weitere diabolische Abgötter, die den herrlichen
Teletubbies, Picachú, Micky und Minnie Maus, Donald Duck,
`gar den drei kleinen Entlein ähnelten, die allesamt böser
waren als der Kriegsgott Huichilobos oder gar Tezcatepuca. Außerdem
waren die verschiedensten Tierarten vertreten: Tiger, Löwen
und Katzen, so auch Sylvester der Kater, Bären, darunter
der schwarz-weiße Panda, Hunde, die in diesem Land Tribilines
und Pluto genannt werden, Kaninchen und selbst die singende Grille
Cri Cri. Und manchmal fanden sich in den Schreinen sogar das Jesus
Kind mit der Jungfrau von Guadalupe. Nun möchten wir darauf
hinweisen, dass es sich bei diesen vergötterten Wesen keineswegs
um solche handelt, denn in Wirklichkeit sind es böse Teufel,
und diejenigen, die ihre Bilder besitzen, sind die ruchlosesten
von allen. Hüten sollten sie sich, so böse und niederträchtig
wie sie waren, denn wo auch immer, die von den Hl. Botschaftern
mitgeführten Kreuze auftauchten, schreckten sie aus Furcht
davor zurück. Die Zeit würde sie ein Übriges lehren.
Denn uns dauern die verlorenen Seelen, derer viele von jenen Götzen
in die Hölle geführt werden, wo sie bei lebendigem Leibe
verbrennen. Hütet Euch davor, sie zu verehren und ihnen weitere
Seelen von Jungen und Mädchen der Indios zu opfern! Da wandte
sich Melchior uns zu und sprach: "Herr, wohl habe ich Deine
Rede und Deine Gedanken verstanden und was meine Diener über
Deinen Gott sagten, und ich weiß, dass alle Dinge, die Du
äußertest, wohin auch immer Du Dich begabst und predigtest,
auf unsere tauben Ohren stieß. Denn seit Anbeginn beten
wir unsere Götter an, die wir für gut halten, so wie
Du Deine, und Du solltest es dabei bewenden lassen, denn es wird
Dir nicht mehr gelingen, dies zu ändern, indem Du uns wieder
und wieder von ihnen berichtest. Und an diese Art der Schöpfung
der Welt haben wir lange Zeit geglaubt. Und deshalb sind wir sicher,
dass es diese Götter sind, die Du hier siehst, und von denen
unsere Vorfahren sprachen, sie würden dort Handel treiben,
wo man Filme machte." Nachdem dies gesprochen, begannen besagte
Götter Winnie Pooh, der Tiger und der Hase Bugs mit uns zu
tanzen. Dabei brüllten sie und spielten ihr Saxofon und ihre
elektrischen Gitarren - Hölleninstrumente, wie man zu sagen
pflegt - so laut, dass es einen schauderte und zwei Meilen weit
zu hören war. Kaum hatte ich jenes Wunder erlebt, vollzog
sich in mir ein völliger Sinneswandel und von dämonischer
Lüsternheit gepackt wollte ich mich ebenfalls fotografieren.
Wir mußten 150 Pesos bezahlen, eh' wir unsere größte
Kamera nutzen durften sowie einen Spiegel, auf dem sich die Künstler,
die Könige und die Vasallen spiegelten, denn da sie sich
heillos tummelten, könnt ihr darauf ihren mannigfaltigen
Widerschein bewundern. Mit den Fotografen der Könige handelten
wir einen Preis aus, und indem wir ihnen erklärten, dass
wir von fernen Landen gekommen waren und ihre Arbeiten bewunderten,
überließen sie uns auch das entsprechende Polaroid.
Welch ein Glück überkam uns, als wir die schöne
Prinzessin von Cuyuoacan trafen, die mit den Monarchen einer Tlacuila,
so die einheimische Bezeichnung für eine Malerin, posierte,
die nicht etwa auf Leinwand, sondern direkt auf das Gesicht der
Hoheit malte, und mir zudem erlaubt wurde, sie nicht nur höchstselbst
zu bemalen, sondern auch noch zu fotografieren, die 3 Könige
und mich eingeschlossen. Dabei trug die süße Infantin
wunderbar herrlich weiße Kleider und eine blinkende Krone.
So verschossen wir einen Film nach dem andern, Hauptmann Miller,
die vornehme Doña Tania, Tochter hoher Herrschaften, die
sich auf die Sprache des Neuen Amerika und Mexikos verstand, und
meine Wenigkeit. Auch die Könige und Fotografen ließen
sich ablichten, und es gelang uns, sie just in jenem entscheidenden
Moment zu fotografieren, als sie ihrerseits ein Foto von uns machten
und ihr Blitz wie eine Feuersalve aufleuchtete, dass es auf dem
Bild gar wie eine Sonnenfinsternis anmutet. Denn auch sie fotografierten
uns munter. Und wie ich Euch sagte, wurden auch unsere Seelen
auf eben jene Weise wie die der Könige, ihrer Vasallen, ihres
Hofstaats, ihrer Fotografen, ihrer Götzen und Götter
im Spiegel gebannt. So kam es, dass diese der Aufopferung würdige
Kunst, die den Betrachter und Leser in einen Künstler, Hl.
König und Vasall, in einen Mohr, Weißen oder Indio
verwandelt, uns im Sturm eroberte. Eben diese herrliche und rühmliche
Offenbarung gilt es zu bestaunen, nicht etwa das falsche Gold
dieser Neuen Welt und ihrer wundersamen Stadt.
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