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Anne Huffschmid
Diskursguerilla: Wortergreifung und Wider-Sinn. Die Zapatistas im Spiegel der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit

Die Neu- und Eigenartigkeit dieser paradox anmutenden Guerilla hat Anne Huffschmid in ihrer Dissertation "Diskursguerilla: Wortergreifung und Wider-Sinn. Die Zapatistas im Spiegel der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit" eingehender untersucht. Die Doktorarbeit, die im September 2002 an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Dortmund bei Prof. Dr. Jürgen Link eingereicht und mit "summa cum laude" bewertet wurde, beschäftigt sich sowohl mit den Diskursstrategien der Zapatistas, also ihrer "Öffentlichkeitsarbeit", wie auch mit deren Rezeption auf unterschiedlichen Bühnen von Öffentlichkeit (Presse, Intellektuelle, soziale Bewegung, Politik und Internet) in Mexiko und anderen Ländern der Welt (Deutschland, USA, Frankreich).

Die Ausgangsthese der "Diskursguerilla" begründet sich in der Beobachtung, dass die EZLN seit ihrem spektakulären Aufstand vom Januar 1994 weniger durch ihre Waffen- denn durch ihre Wortergreifung landes- und weltweit 'von sich reden' gemacht hat. So arbeitet die Verfasserin heraus, wie sich die Zapatistas mittels einer unkonventionell-widersinnigen Strategie von Ein- und Umkopplungsmanövern in den Spiegeln mexikanischer und internationaler Öffentlichkeit behaupten und legitimieren konnte. Zentrale Bezugspunkte dieser diskursiven Selbstbehauptung und Provokation sind alte und neue Mythologien (Revolution, Zapata; Mestizaje und Indigenimus; Modernisierung und Globalisierung) ebenso wie metaphorische Konnotation (Maske, Spiegel), methodologische Kategorien wie Verfremdung und Paradoxie sowie begriffliche Leitmotive wie Differenz und Diversität. Ausgehend von ihrer 'indigenen Legitimation' und im Rekurs auf national(staatlich)e Diskursrepertoires des postrevolutionären Mexiko entfalten die Aufständischen eine grenzüberschreitende Dynamik begründen ein eigenes symbolisch-diskursives Repertoire (hier Zapatismo genannt) begründen. Dieses, so lautet die zweite Ausgangsthese dieser Arbeit, konstituiert sich allerdings erst im Wechselspiel mit seinen Resonanzen, die EZLN kann nur als strukturell offene und interaktive Bewegung erkannt und beschrieben werden.

Leitfragen der Arbeit, die das öffentliche Wechselspiel der Diskurse zwischen Guerilla und Gesellschaft(en) fokussiert, waren: Wie lässt sich die Attraktion der zapatistischen Rede in der Wahrnehmung der (Welt-)öffentlichkeit begründen? Wie ist diese Rede im Einzelnen konfiguriert, auf welche Diskurs- und Symbolrepertoires rekurriert sie, welche Spannungen und Widerhaken ergeben sich bei der Lektüre? Welche Rolle kommt in dieser Inszenierung der Figur des Wortführers Subcomandante Marcos als multifunktionales Autorenkonstrukt zu? Läßt sich so etwas wie ein diskursiver Stil herauslesen? Welche Rolle spielen Presse und Internet bei der Konstitution des Phänomens? Welche Schlüsse und Lehren werden in in unterschiedlichen 'Lagern' aus der zapatistischen Mobilmachung gezogen? In welchem Verhältnis stehen Sprachbilder (Symbole, Metaphern) zu "sprechenden Bildern", die die diskursive Sichtbarkeit der maskierten Aufständischen begründen?

Zur Gliederung:
Die Zapatistas werden zunächst im Kontext von miteinander verschränkten Mythologien verortet, die das mexikanischen Identitätsrepertoire konstituieren und auf deren kritische De- und Rekonstruktion und ‚Unterwanderung' die Wortergreifung der EZLN abzielt: der Gründungsmythos der Revolution, der Mythos der Modernisierung sowie Mestizaje und Indigenismus (II.1). An diesem ersten Resonanzboden - und an eine Einführung in das hier verwendete diskursanalytische Instrumentarium (II. 2) - anknüpfend, werden als Gegenstände der analytischen Lektüre vier Textkorpora vorgestellt (II.3): eine Auswahl zapatistischer Schriften (Kommuniqués, Presseerklärungen, Briefe, Manifeste, Reden, Essays, Interviews sowie 'literarische' Genres); eine Zusammenstellung von Artikeln und Essays kommentierender Intellektueller aus aller Welt (Schriftsteller, Publizisten, Akademikern), die sich jeweils durch bestimmte "diskursive Positionen" auszeichnen; Dokumente, Publikationen und Websites aus dem Umfeld der Solidaritäts- und anderer sozialer Bewegungen; im Presse-Korpus finden sich schließlich Titelüberschriften und exemplarische Texte aus der Presseberichterstattung über die EZLN in Tages- und Wochenzeitungen vier verschiedener Länder (Mexiko, Deutschland, Frankreich und den USA). Als Leitfaden diente die Chronik diskursrelevanter Ereignisse im Untersuchungszeitraum vom Januar 1994 bis Ende 1997 (Konjunkturachse). Im Zentrum der analytischen Textlektüre stand sowohl die Konstruktion von Sprechern, Adressaten und diskursiven Dritten sowie von Diskursfeldern und Leitmotiven, metaphorische und andere rhetorische Ressourcen sowie interdiskursive und -textuale Verweise. Das Ergebnis dieser "Lektüre einer Rebellion" sozialen Phänomens im dritten Teil der Arbeit, und zwar nicht in zeitlicher Chronologie oder streng nach Diskursträgern unterschieden, sondern als eng miteinander verwobenes Geflecht dargestellt. So geht es im ersten Kapitel um Kernelemente der zapatistischen Selbstbehauptung (Ya basta, pronominale Positionierung, Metaphern, diskursive Grenzüberschreitung) und zugleich um verschiedene "Lesarten" in der Resonanz. Das zweite Kapitel widmet sich der Rolle der Presseberichterstattung und des Internets in der öffentlichen Konstitution des Zapatismo. Mit der Konstruktion und Figur des Subcomandante Marcos im Wechselspiel mit intellektuellen Resonanzen sowie den Ressourcen des 'Literarischen' im zapatistischen Diskurs beschäftigt sich das dritte Kapitel. Im vierten Kapitel wird der Frage eines diskursiven Stils (Paradoxie, Ironie) und der politischen Methodologie nachgegangen. Im Zentrum des fünften und letzten Kapitels steht schließlich die Bildhaftigkeit der zapatistischen Rede, mit besonderem Augenmerk auf den Bildern des Weiblichen.


Zur Verfasserin:
Die Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Anne Huffschmid (Berlin, 1964) "pendelt" seit über zehn Jahren zwischen Berlin und Mexiko. In dieser Zeit hat sie sich, neben dem journalistischen Tagesgeschäft - u.a. als Korrespondentin der Berliner tageszeitung, als Kulturreporterin für die mexikanische La Jornada und Autorin für zahlreiche deutschsprachige Periodika und Magazine - vorzugsweise mit (inter-)kulturellen Kreuzungen beschäftigt, Beiträge für diverse Sammelbände und Fachzeitschriften veröffentlicht und u.a. den Band "Subcomandante Marcos. Ein maskierter Mythos" (Berlin 1995) herausgegeben. Die vorliegende Dissertation basiert auf einer Studie, die von 1997 bis 1999 von der Volkswagen-Stiftung finanziert worden ist. Da eine Veröffentlichung der Arbeit in Bälde beabsichtigt ist, sind Hinweise auf interessierte Verlage jederzeit willkommen.

Kontakt:
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